15.08.09 | Schwules Paar in Wetzlar

Ein Jahr danach Quelle Frankfurter Rundschau
VON PETRA MIES

Max und Moritz betrachten die Röhre interessiert. "Optokinetisches Gleichgewicht" heißt die Station auf dem Optikparcours, einem Rundgang durch Wetzlar, der eine wahrlich sehenswerte Serie von Installationen mit Phänomenen der Optik quer durch die ganze Stadt bietet. Ebenso wie die sich drehende Röhre auf einem Spazierweg an der Lahn. Wer durch sie geht und an die Wand blickt, verliert sein Gleichgewicht. Eine Spaziergängerin kichert, als sie herauskommt.

Max und Moritz sind kleine Hunde. Shih-Tzu heißt die wuselige Rasse, und die Herrchen heißen Kristof Heil und Jürgen Erbach. Sie haben den Optikparcours mit initiiert.

Während das Quartett die Altstadt hinauf zum Dom läuft, grüßen immer wieder Menschen. Sie winken, rufen laut "Hallo", springen im Café auf und schütteln Hände. Kein Zweifel: Der 44 Jahre alte Heil und der 48 Jahre alte Erbach sind eine feste Größe in Wetzlar, ziemlich beliebt und stadtbekannt.

Seit einem Jahr sind sie sogar deutschland- und europaweit berühmt. Denn genau am 15. August 2008, dem 20. Jahrestag ihrer Liebesbeziehung, bekannten sie sich standesamtlich zueinander und ließen sich überdies im Wetzlarer Dom segnen, wozu sie den evangelischen Jugendpfarrer Arnulf Linden und den katholischen Pfarrer Peter Kollas gewinnen konnten.

Erbach, Professor für Projektentwicklung, lächelt auch heute noch, während er das Fotoalbum durchblättert. Mehr als 250 Gäste, strahlende Gesichter, eine hinter einem Flötenspieler durch Wetzlar schlendernde Schar, ein rauschendes Fest bis in die Morgenstunden auf dem Sonnendeck mitten in der Stadt, das Heil ansonsten als Bar betreibt.

"Unser Telefon glühte"

So weit, so schön. Doch Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst freute sich offenbar nicht so richtig mit. Er bestellte Pfarrer Kollas, der zugleich auch Bezirksdekan war, nach Limburg ein - und enthob ihn des Amtes als Dekan. "Dann brach die Lawine los", sagt Erbach und dreht seinen Ring.

Mails, Fernsehsendungen in ganz Europa, "unser Telefon glühte". Zwei hochrangige Kirchenvertreter empfingen die beiden Männer zwar in Limburg und bekundeten persönliches Verständnis, "aber an der offiziellen Haltung der katholischen Kirche ändere das nichts", zitiert Heil aus dem Gespräch.

Der als Dekan geschasste Kollas wiederum äußerte sich nur einmal. Er werde tatsächlich keine Segnungen von gleichgeschlechtlichen Paaren mehr machen und stehe diesbezüglich beim Bischof im Wort, auch wenn ihn das traurig stimme.

Und nun, ein Jahr danach? Erbach blickt aus dem Fenster des Bürokomplexes, in dem er mit seinem Partner und sieben Mitarbeitern die Projektentwicklungs-Firma IPEM betreibt, wenn er nicht gerade an der Fachhochschule Holzminden lehrt. "Für uns als Paar nicht viel", befindet Erbach. "Aber was alles passiert ist, hat uns doch ziemlich getroffen."

Hoffnung auf einen normalen Umgang

Dass sie in Wetzlar natürlich während der diesjährigen Fastnacht eines der Hauptthemen waren, nahmen sie mit Humor. Selbst Kollas, wie auf einem Video festgehalten ist, sitzt in den Reihen und lacht beispielsweise über den Beitrag der katholischen Jugend. "Dann war erst einmal Ruhe", erzählt Erbach.

"Ja, bis wir davon hörten, dass der Fuldaer Bischof gegenüber Pfadfindern homosexuelle Beziehungen als entartet bezeichnet haben soll", ergänzt Heil. "Und dass Referenten Ende Mai beim Kongress für Psychotherapie und Seelsorge äußerten, dass Homosexualität therapierbar sei, hat ebenfalls eine neue Welle von Diskussionen verursacht."

Das Paar wünscht sich zum Jahrestag seiner Segnung nur eins: "Dass endlich normal mit einem Thema umgegangen wird, das doch auch ganz normal ist", sagt Erbach. "Und wir sind stolz darauf, dass wir, die Stadt Wetzlar und auch Pfarrer Kollas ein Zeichen für mehr Toleranz gesetzt haben."

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Dokument erstellt am 14.08.2009 um 20:03:24 Uhr
Letzte Änderung am 15.08.2009 um 11:07:42 Uhr
Erscheinungsdatum 15.08.2009 | Ausgabe: r2no